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Missy Mesmerized (miss mesmerized)
Als man eine Frauenleiche findet, scheint der Täter offenkundig: der etwas exzentrische Einzelgänger Michael Wolphram, der das Opfer auch kannte und gar nicht verhehlt, gelegentlich mit der attraktiven jungen Frau gesprochen zu haben. Vor seiner Pensionierung war er Lehrer am Chapleton College, das auch Alexander, einer der beiden Polizisten, die den Fall untersuchen, besuchte. Er hat gänzlich andere Erinnerungen an den Mann als das Bild, das die Presse schnell von ihm zeichnet. Sein Kollege Gary will eigentlich nur noch die notwendigen Beweise sichern und den Fall abschließen. Was zunächst offenkundig scheint, wirft jedoch schnell einige Fragen auf. Patrick McGuiness erzählt zwar oberflächlich in "Den Wölfen zum Fraß" einen klassischen Krimi, darunter liegt jedoch eine scharfsinnige Analyse der Gesellschaft, die auf unterschiedenen Ebenen von Vorurteilen und klaren Grenzen zwischen den Schichten und Bevölkerungsgruppen geprägt ist. Die Frage nach dem Mörder rückt immer wieder hinter diese zurück und eröffnet so Raum für weitaus größere und interessante Aspekte. Die beiden Polizisten sind perfekt austarierte Partner, die trotz ihrer Verschiedenheit, oder vielleicht auch gerade wegen dieser, hervorragend zusammenarbeiten und sich ergänzen. Alexander der gebildete, studierte, der mit klarem Kopf sachorientiert vorgeht; Gary repräsentiert mit seinem Dialekt eher die Arbeiterklasse, zu der er naturgemäß bei Befragungen auch besser einen Draht aufbauen kann. Durch die Rückblicke in eine längst vergangene Schulzeit eröffnet Alexander nicht nur ein differenzierteres Bild des Verdächtigen, sondern zeigt auch wie eng die realen und geistigen Mauern des britischen Internatslebens sein können und wie schwierig es für Außenseiter ist, dort Fuß zu fassen. Mehr noch allerdings exponiert er die Presse, die blutsaugend hinter dem Fall her ist. Die Geschichte basiert auf jener von Christopher Jeffries, der 2010 wegen des vermeintlichen Mordes an Joanna Yeates durch die Boulevardblätter bereits verurteilt wurde, bevor überhaupt die Polizeiarbeit abgeschlossen war. Kein Roman, der mich von der ersten Seite gepackt hätte, sondern einer, der zunehmend sein Potenzial zeigt, dessen pointierte Sprache ihre Bedeutung erst langsam enthüllt und dann erst erkennen lässt, um was für einen großartigen, bis ins Detail ausgefeilten Roman es sich handelt.
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Hardy Knoll
Mir war weder der Autor noch der Verlag bekannt. Die Wahrscheinlichkeit, diesen literarischen Schatz zu entdecken also entsprechend klein, wie die Suche nach einer schwarzen, besonders wertvollen Perle in einem Berg Muscheln. Die Handlung des Buches richtet sich an einem wahren Fall aus: ein pensionierter Lehrer wird des Mordes an einer jungen Frau bezichtigt. Sein Lebenswandel als einsamer Sonderling, der viel liest, Musik hört und kaum Kontakte pflegt, macht ihn zum geborenen Ziel der Presse. Ein Monster wird erschaffen. Bevor seine Schuld auch nur annähernd bewiesen werden kann, vernichten ihn die Medien. Und auch die Polizei verliert ihre Objektivität. Zu verlockend die Aussicht auf eine schnelle Lösung des Falles, eine sauberen Abschluss. Ja, wäre da nicht ein Beamter der Polizei, der eine besondere Beziehung zu dem Verdächtigen hat. Denn der mutmaßliche Täter war einst sein Lehrer. Damit wird der Fall kompliziert und führt die Fahnder viele Jahre zurück an eine der berüchtigten Schulen in England, die dominiert wurden von machtbesessenen Lehrern, die sich teilweise mehr als nur psychologisch an ihren Schülern vergangen haben. Patrick McGuinness kreiert aus dem wahren Fall einen Roman, der mehr ist als ein gewöhnlicher Krimi. Voller Metaphern und brillanten Beschreibungen leuchtet der Roman weit über den üblichen Veröffentlichungen des Genres. Der Autor lässt jeden Satz wie einen Auszug eines gewaltigen Thesaurus erscheinen. Präzise Formulierungen demonstrieren nicht nur eine außergewöhnliches Erzähltalent, sondern bezeugen eine großartige Beobachtungsgabe, die weit in die Psychologie der Figuren hineinreicht. So reicht das Buch weit über den Mordfall hinaus, gibt ein erschütterndes Bild eines perfiden Schulsystems ab und hält den modernen Medien einen dunklen Spiegel vor. Der Mensch, der aus welchen Gründen auch immer zum Gejagten der sensationsgierigen Kanälen und Foren wird, hat keine Chance, dem Geschehen zu entkommen. Das Buch ist ein grandioses Psychogramm, eine treffliche Sozialstudie und zudem spannende True-Crime-Geschichte, die ihresgleichen sucht. Hervorheben ist die begeisternde Arbeit des Übersetzers Dieter Fuchs. Jeder Satz der deutschen Fassung ist ein Genuss. Bis auf zwei fehlende Buchstaben (Seite 180 und 385) ist das Buch gut gedruckt, die 400 Seiten angenehm zu lesen. Ein rundherum gelungener Glücksgriff, der jedem ans Herzen zu legen ist, der gehobene Literatur liebt.