Mit der Schrift "Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit" stritt Herder 1774 gegen die seiner Meinung nach รถde und lebensferne zeitgenรถssische Bildung. Gleichzeitig erรถffnete er einer neuen Geschichtsauffassung den Weg, die weder auf Geschichtspessimismus beruhte noch einem uneingeschrรคnkten Fortschrittsglauben anhing. Geschichte gliedert sich demnach in organisch aufeinander aufbauende Epochen, die ihr jeweiliges Eigenrecht besitzen und nicht mit ihren รคuรerlichen Maรstรคben beurteilt werden dรผrfen. Sein Hauptwerk Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784โ1791) beruht auf den Gedanken, die er bereits in kleineren Schriften verรถffentlicht hatte. Es ist eine Zusammenfassung seiner Erkenntnisse รผber die Erde und den Menschen, "dessen einziger Daseinszweck auf Bildung der Humanitรคt gerichtet ist, der alle niedrigen Bedรผrfnisse der Erde nur dienen und selbst zu ihr fรผhren sollen". Er legte seine Auffassungen รผber Sprachen, Sitten, Religion und Poesie, รผber Wesen und Entwicklung der Kรผnste und Wissenschaften, รผber die Entstehung von Vรถlkern und historischer Vorgรคnge dar. Vernunft und Freiheit hielt er fรผr Produkte der "natรผrlichen" ursprรผnglichen Sprache, Religion fรผr den hรถchsten Ausdruck menschlicher Humanitรคt. Die unterschiedlichen natรผrlichen, historischen, sozialen und psychologischen Umstรคnde fรผhren zur vielschichtigen Differenzierung der Vรถlker, die verschieden aber dennoch gleichwertig sind. Herder interpretiert die Menschheitsgeschichte als die vernunftgeleitete Fortsetzung der Naturgeschichte: So, wie die Organisationsweise eines Lebewesens zugleich durch seine organische Kraft und seine Umwelt bestimmt ist, muss die kulturelle Entwicklung eines Volkes, wenn sie gelingen soll, zugleich bestimmt sein durch den 'Charakter' oder 'Genius eines Volks' und durch die physischen Bedingungen ('Klima') des 'Landes' oder 'Erdstrichs', in dem es lebt.