Seit über dreißig Jahren betrachtet der Westen den Osten. Als Gast im Westen beschreibt Ingo Schulze, dass die Wirklichkeit immer jener Ort ist, der jenseits der Erwartung liegt. Ein halbes Jahr verbrachte Ingo Schulze von Oktober 2022 bis März 2023 im Ruhrgebiet als "Gast im Westen". Was ihn interessierte? »Einen Plan hatte ich nicht. Und erst allmählich begann ich meine "Methode‹ zu erkennen: Wenn mich jemand einlud, bin ich hingegangen. Es gibt wohl kaum ein unsystematischeres Vorgehen. Aber jeder Plan wäre mir nicht weniger willkürlich erschienen." So entstanden ganz unterschiedliche Betrachtungen, Porträts, Reportagen - eine Grundschule, in der die Musik die Rolle der Sprache übernimmt, weil zu wenige Kinder Deutsch sprechen; ein Stadionbesuch mit einem Polizeipräsidenten a. D., der nicht mehr das Wort "Clankriminalität" aussprechen wollte, es aber musste; ein Konzert im Alfried Krupp Saal der Essener Philharmonie führt zur Geschichte der Firma Krupp, zu den längsten Arbeitskämpfen der BRD und zu Europas größtem Binnenhafen; die Ruhe eines Kriegsgräberfriedhofs erscheint nicht mehr selbstverständlich; der Slapstick einer Theateraufführung setzt sich in der Wirklichkeit fort - über allem wabert ein Duft von Döner und Gyros und im Ohr hallen die Gesänge der Fußballfans nach.