In verhältnismäßig kurzer Zeit hat sich die Vitaminlehre zu einem beachtens werten Forschungsgebiet entwickelt, das in gleicher Weise das Interesse des Theoretikers wie des Klinikers gefunden hat. Das ist gewiß kein Zufall. Die wichtige Aufgabe, die den Vitaminen für das Leben von Pflanze und Tier zukommt, tritt allenthalben zutage; ganz besonders aber beim wachsenden Organismus. So hat die Vitaminforschung in der klinischen Medizin den weitest gehenden Einfluß auf das Studium der Pathologie des Kindesalters genommen. Was an zusammenfassenden Darstellungen auf diesem Gebiete bisher vor liegt, beschäftigt sich vorwiegend mit den Ergebnissen von Laboratoriums versuchen und entstammt ausschließlich der Feder experimenteller Forscher. Der Kliniker sieht die Dinge meist etwas anders als der nur im Laboratorium arbeitende Physiologe oder Chemiker und deshalb vermag er wohl den Gegen stand mehr seinen besonderen Bedürfnissen entsprechend zu schildern als der Theoretiker. Für unseren Entschluß, unter diesem Gesichtspunkte eine Übersicht über die Avitaminosen beim Menschen zu geben, war die Tatsache ausschlaggebend, daß eine moderne umfassende Darstellung derjenigen Krankheitszustände, die auf dem Mangel an Vitaminen beruhen (und daher als echte Avitaminosen zu bezeichnen sind) oder bei denen ungenügende Vitaminzufuhr eine wichtige Rolle spielt, von klinischer Seite überhaupt nicht existiert. Daß sie sich nur auf einer Schilderung des experimentellen, physiologisch chemischen Tatsachenmaterials aufbauen konnte, war selbstverständlich, ebenso selbstverständlich war es freilich auch, daß dabei nur das für das klinische Bedürfnis wirklich Notwendige gebracht werden konnte, und vieles an sich Interessante und allgemeiq, -biologisch Wichtige außer Betracht bleiben mußte.