Kann man über ein so populäres Werk wie Bachs Weihnachtsoratorium noch irgendetwas sagen, was nicht schon bekannt ist? O doch, gewiß. Dazu genügt es, seinen Blick von dem zu befreien, was man zu erblicken, oder vielmehr, zu hören gewohnt ist, zu vergessen, was man darüber zu wissen glaubt. Ein Privatissimum, bei dem sich allein der Notentext und sein Betrachter gegenüberstehen, lehrt Aufmerksamkeit für Sachverhalte, welche durch Aufführungs- und Hörgewohnheiten für gewöhnlich verstellt sind. Keine andere Kunst teilt mit der Musik den Nachteil, ihrem Publikum, gleich einer Speise, ausschließlich in schon zubereiteter Gestalt gegenüberzutreten, sodaß dieses, was dem Koch und was den von ihm verwendeten Ausgangsstoffen zuzuschreiben sei, kaum mehr zu entscheiden vermag. Allein aber aus dem, was der Künstler schuf, erschließt sich die Aussage des Geschaffenen – und ist diese nicht das einzige Ziel, was die Beschäftigung mit einem Kunstwerk rechtfertigt ...?