Friedrich von Hagedorn ist der erste deutsche Fabeldichter im eigentlichen Sinne und zugleich einer der interessantesten der Epoche der Aufklärung. Seine Ästhetik der Fabel stellt insofern eine Ausnahme in der gesamten deutschen Fabeltradition dar, als er die Poesie, d.h. den Kunstcharakter der Fabel und nicht die Belehrung bzw. Moral in den Vordergrund stellt. Die individuellen Fabeln und Erzählungen stellen keine Einzelphänomene dar, sondern kohärente »Großtexte«. Die meisten Stücke erfahren einen Sinnzuwachs, wenn bei jeder Interpretation der spezifische Sinnkontext berücksichtigt wird, in dem sie innerhalb der Sammlung stehen. Da keine andere literarische Gattung so durch Intertextualität bestimmt ist wie die Fabel, werden die einzelnen Texte unter Bezugnahme auf ihre antiken und neuzeitlichen europäischen Quellen und Motivparallelen interpretiert. Der scherzhaft-erotische Charakter wie auch die in ihnen enthaltene Sozialkritik und der Entwurf von Gegenwelten stellen emanzipatorische Tendenzen dar. Hagedorns Fabeldichtung belegt, daß die Fabel des 18. Jahrhunderts an die Stelle des barocken Emblems getreten ist.